Farben

Weisses Rauschen

Ein Besuch in der Farbmanufaktur ktColor in Uster.

von Andrea Eschbach

Journalistin, Zürich

Sie ist die Königin aller Farben, sie kann alles sein, aber auch nichts. Eines jedoch ist sicher: Weiss ist niemals nur Weiss. Es ist vielmehr nuancenreich, das Spektrum reicht von Schneeweiss über Grauweiss bis hin zu edlen Elfenbeintönen. Weiss ist, wie Schwarz und Grau, eine unbunte Farbe: Es ist keine Spektralfarbe, sondern Helligkeit ohne Farbstich.

Wer nun denkt, dass man mit Räumen in Weiss nichts falsch machen kann, wird von Katrin Trautwein eines Besseren belehrt. «Der angeblich neutrale White Cube hat ausgedient. Ein Raum, der dem Auge schmeichelt, muss im Büro nicht anders aussehen als in der Wohnung. Je monochromer die Umgebung ist, umso künstlicher wirkt sie und ist zudem anstrengend für unsere Augen», erklärt die Farbforscherin. «Monochrom weisse Räume, die mit Titandioxid gestrichen sind, wie sie landauf, landab zu sehen sind, strengen unsere Augen sogar an.» Die promovierte Chemikerin hat ihr Leben der Farbe verschrieben, genauer gesagt der aus natürlichen und mineralischen Pigmenten gewonnenen Farbe. Ihre Suche nach der perfekten Farbe begann vor einem Vierteljahrhundert mit der Erforschung der Farbklaviatur von Le Corbusier. Mit der «Polychromie architecturale» – Le Corbusiers Palette aus 63 Farben – machte sie sich einen Namen in der Welt der Architekten, Gestalter und Denkmalpfleger. Und sie lernte von Le Corbusier, dass Farbe ein Material ist. Farbe folge Funktion, so lautet die Theorie des Grossmeisters der Moderne. «Die Farben, die er ausgewählt hat, haben eine besondere Tiefe, lassen im Zusammenspiel mit dem Licht Räume natürlich und angenehm wirken und unterstreichen die Architektur ideal», erklärt Katrin Trautwein. Auch bei der Restaurierung des legendären Hauses E.1027 von Eileen Gray und Jean Badovici in Südfrankreich konnte sie mitarbeiten, die Farben identifizieren und rekreieren.

Das Handwerk der Farbherstellung

Die Beschäftigung mit den Farbpaletten Le Corbusiers legte den Grundstein. 1998 gründete Katrin Trautwein die Farbmanufaktur ktColor. Im Jahr 2000 erhielt sie die exklusive Lizenz der Fondation Le Corbusier, dessen Farben als Künstlerfarben und als Wandfarben herzustellen und weltweit vertreiben zu dürfen. In den Hallen einer ehemaligen Spinnerei in Uster erforscht und produziert sie seither handgefertigte Farben, inzwischen verfügt sie über mehr als 2000 Farbrezepte. Gemeinsam mit einem 18-köpfigen Team verwandelt die gebürtige Stuttgarterin Farbpigmente von Hand zu rund 225 «Farben der Poesie», wie die Farbforscherin sie nennt. «Nicht das schnell Gemischte ist nachhaltig, sondern das langsame Handwerk der Farbenherstellung. Bei uns entstehen aus diesen natürlichen Pigmenten Farben, die harmonisch, naturbezogen, leuchtend und nachhaltig sind.» Dahinter stehen sehr komplizierte Rezepturen: «Wir optimieren das Funkeln im Licht, deshalb wirken unsere Farben tiefer.» Im Untergeschoss stapeln sich in Kästen und Säcken die Farbpulver, Naturerden und Halbedelsteine, in Holzregalen reihen sich Fläschchen an Fläschchen mit Farben aller Couleur – man könnte in einen Farbrausch kommen. Zu den teuersten Pigmenten zählen auch kostbare, feingemahlene Steine wie Lapislazuli und Malachit.

Doch zurück zum Weiss in allen Nuancen. Schliesslich nimmt Weiss in den meisten Räumen von Schweizer Haushalten die grössten Flächen ein. Das macht es zur wichtigsten Farbe. Die üblicherweise von Architekten gerne verwendete Weiss-Skala der RAL-Farben scheint eine sichere Bank, jeder Farbenhersteller kann diese industriell normierten Töne anmischen, als Wandfarbe oder Lack. Es gibt allein neun RAL-Weisstöne von «Perlweiss» (No. 1013) bis «Papyrosweiss» (No. 9018). Für Katrin Trautwein sind diese Weisstöne jedoch keine Option. Es sei eben ganz und gar nicht egal, ob die weisse Wandfarbe ein künstliches Titanweiss oder ein natürliches Kreideweiss ist – je nachdem ändere sich die Raumwirkung. «Das künstliche Weiss ist für den Sehsinn anstrengend», sagt sie. «Es wirkt aufdringlich und steril, egal wie sehr es abgetönt wurde.» In der Regel geben Generalunternehmer ein industrielles Weiss aus Titandioxid vor. Aber man sehe dieser Farbe, so erklärt Katrin Trautwein, einfach an, dass sie künstliche Oberflächen bilde, der Raum wirke deshalb zweidimensional, der Blick finde keinen Ankerpunkt. Doch was unterscheidet ihr Weiss nun von dem der Industrie? Katrin Trautwein zeigt mir im Besprechungsraum, dessen Wände von Hunderten von Farbkarten bedeckt sind, an einem konkreten Beispiel, was ihre Farben zur Raumwirkung beitragen können: «Hier im Bild ist Lichtweiss, unsere Alternative zu RAL 9010, an der Wand links und an der Decke aufgetragen. Gris blanc ist das dunklere Weiss rechts. Die Weissabstufung und die Licht- und Schatteneffekte vertiefen den Raumeindruck und erhöhen die Spannung der Architektur.» Lichtweiss, die Nuance mit dem KT-Code 32KT000, wirkt dank der Naturpigmente Kalk, Kaolin und Burgunderocker tiefer, leuchtender und lebendiger als die Oxidpigmente in RAL 9010. Gris blanc ist für die Farbexpertin ein ideales Weiss für kleine Räume mit wenig Tageslicht. «Es vergrössert visuell dunkle Räume und schafft vornehme Kontraste zu helleren Objekten.»

Natürliche Pigmente statt künstlichem Weiss

Seit Kurzem ergänzen bei ktColor 16 neue Farben das Sortiment der Manufaktur. Auch diese Töne sind aus klassischen, natürlichen und mineralischen Pigmenten, auf Wasserbasis und frei von umweltschädlichen Chemikalien. Zu jeder Farbe gibt es eine Geschichte. Die beiden neuen Weiss-Töne sind Rügener Weiss und Französisch-Weiss. Für ersteren – einen besonders reinen, weissen Ton – liefern die berühmten Kreidefelsen der Insel Rügen den aussergewöhnlich leuchtenden Kalk. «Dank der gerundeten natürlichen Pigmentteilchen reflektiert dieses verführerisch weiche Weiss das Licht auf eine sanfte und angenehme Weise, was es ideal für den Einsatz in hellen, lichtdurchfluteten Räumen macht.» Französisch-Weiss dagegen ist ein vornehmes Weiss, das seine Herkunft in den eleganten Villen Frankreichs hat. «Diese edle Farbe wird durch die Verwendung poröser Belemnit-Kreide aus Châlons-en-Champagne charakterisiert, die ihr subtile, warme Untertöne verleiht», erklärt die Farbexpertin. «Sie eignet sich hervorragend für Wände, Möbel und Dekorationen, die einen Hauch von französischer Eleganz vermitteln sollen.»

Insgesamt umfasst die Weiss-Palette von ktColor 25 Farben, die in fünf atmosphärische Gruppen geordnet sind: luftig, klar, steinig, weich und warm. So lassen sich Raumatmosphären ganz nach Wunsch schaffen.

«Die Weissabstufung und die Licht- und Schatteneffekte vertiefen den Raumeindruck und erhöhen die Spannung der Architektur.»

Katrin Trautwein

Weitere Infos

Wer tiefer in das Farbuniversum von ktColor eintauchen will, kann Farbberatungen vor Ort buchen oder online in eine Masterclass schnuppern. Für Fachleute aus Architektur, Design, Handwerk und Bauplanung, die mehr über Farbe als Material wissen möchten, bietet Katrin Trautwein auch Weiterbildungen an. Und am Event «Schweizer Farben zu Weinbegleitung» können Besucher an einem Abend in Uster überraschende Gemeinsamkeiten zwischen Farbe und Wein entdecken. ktcolor.com